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Ein Jahr in Oslo — der Blick zurück, der Blick nach vorn

Der Text auf dieser Seite wurde im September 2003 verfasst.

Nun leben wir seit ungefähr einem Jahr gemeinsam in Oslo (Tania ist ja knapp ein Vierteljahr länger hier). Da ist es an der Zeit, sich an eine Rekapitulation zu machen. Das ist schon ausgesprochen schwierig; die Erlebnisse der letzten 12 Monate würden locker ein mehrbändiges Werk umfassen. Deshalb vielleicht einfach mal eine ungeordnete Aufsummierung der positiven und negativen Erfahrungen — und der Dinge, die wir am meisten vermissen ...

Positives

Der gemeine Norweger an sich ist eigentlich ganz nett — auch der in Stavanger

Der gemeine Norweger an sich ist eigentlich ganz nett — auch der in Stavanger

  • nette Leute. Mit Ausländerfeindlichkeit haben wir bisher in Oslo — Gott sei Dank — keine Erfahrungen machen müssen. Im Gegenteil: Die Leute hier sind ausgesprochen nett und hilfsbereit — eigentlich ausnahmslos (mag sein, dass ein Afrikaner oder Araber andere Erfahrungen macht). Man ist uns gegenüber sehr aufgeschlossen, stellt Fragen und zeigt einfach Interesse. Ob es nun bei der Arbeit ist, in der Kneipe oder beim Smalltalk auf der Straße. Und obwohl es doch so ein paar Unterschiede hinsichtlich Charakter/Kultur/Gewohnheiten gibt, war die Eingewöhnung völlig problemlos — ein Umzug nach Bayern wäre für uns sicherlich ein dramatischerer Einschnitt gewesen.

  • Sprachgewandtheit. Wenn man wollte, käme man hier auch ziemlich gut mit Deutsch durch — es ist wirklich erstaunlich, wieviel Leute hier Deutsch gelernt haben. Nur trauen sich die meisten nicht, es zu sprechen (bei vielen haben wir erst nach einer ganzen Weile herausbekommen, dass sie Deutsch können). Wir bemühen uns selbstverständlich, Norwegisch/Dänisch oder Englisch zu sprechen. Und Englisch kann wirklich fast jeder (Norwegisch natürlich auch). Nur unser Hausarzt, der spricht so gut wie gar nicht Englisch, aber wenigstens versteht er es ein bisschen. Am besten fand ich (T.), dass ich in jeder Behörde mit Englisch weiterkam — das ist in Deutschland doch bekanntermaßen ein riesiges Problem für Ausländer. Deutsche Behördenmitarbeiter sind ja eher etwas Deutsch-fixiert ...

  • Spontaneität. Die Norweger haben eine interessante Mischung aus Verkomplizieren und südeuropäischem „kommste heute nicht, kommste morgen”. Das ist manchmal etwas nervig (vor allem, wenn man mit Handwerkern zu tun hat), aber auch äußerst spannend und manchmal lustig.

  • angenehmes Klima. Trotz der vielen Monate mit Schnee (in der Østmark — dem Waldgebiet bei uns um die Ecke — war die Skisaison im letzten Winter 115 Tage lang) ist das Klima in Oslo im Vergleich zu Bremen schon ausgeglichener: Etwas weniger regnerisches Wetter und seltener fast unerträglich warm.

    alles voller Landschaft: am Luttvann

    alles voller Landschaft: am Luttvann

  • irre Landschaft. Oslo liegt direkt am Fjord. Entsprechend kann man überall unkompliziert und schnell ans Wasser kommen. Einfach auf eine kleine Fähre steigen und zu einer der vielen Inseln fahren oder mit dem Bus irgendwo eine halbe Stunde die Küste entlang und schon hat man die genialsten Bade- und Grillmöglichkeiten. Und es ist — außer im Hochsommer am Wochenende — nicht extrem überlaufen. Irgendwo findet man immer ein abgeschiedenes Plätzchen. Natürlich kann man auch einfach aufs Fahrrad steigen und ein paar Kilometer abstrampeln und schon ist man in den riesigen urwüchsigen Waldgebieten. Oder ab in die U-Bahn und in die höhergelegenen Randlagen Oslos fahren — auch toll zum Wandern oder Grillen. Der Tag fängt schon gut an, wenn ich morgens auf die U-Bahn warte und von der Haltestelle aus meinen Blick über Oslo schweifen lassen kann.

  • Naturverbundenheit. Die Osloer (und wahrscheinlich auch alle anderen Norweger) sind sehr naturverbunden. Wenn man nicht regelmäßig und mit Begeisterung Hobbies wie Orientierungslauf, Skilanglauf oder Angeln nachgeht, wird man als nicht anpassungswillig beargwöhnt. Obwohl wir ja keine Ski- oder Orientierungsläufer sind, werden wir wegen unserer Fahrradbegeisterung als Norwegen-akklimatisierte Freiluftfanatiker akzeptiert. Die Einheimischen sind sogar recht angetan von uns, denn ein Tandem auf einem Waldpfad gab's hier wohl noch nie ... Die Naturverbundenheit äußert sich übrigens auch darin, dass hier ganzjährig gegrillt wird. Es ist absolut nichts Ungewöhnliches, im Winter wandern oder Ski laufen zu gehen und auf eine Gruppe Norweger zu treffen, die irgendwo im Schnee sitzen und auf einem Einweggrill grillen.

  • Hüttenkultur. Viele Osloer haben eine eigene Hütte. Und die, die keine haben, mieten regelmäßig eine. Diese Hütten können von einer einfachen Holzbude ohne Strom und Wasser bis zu perfekten Häusern mit DSL-Anschluss und Whirlpool jede Qualität haben. Allerdings spaltet sich die Nation bei den Hütten etwas: Eine Fraktion will eine Hütte in den Bergen und die andere eine Hütte möglichst nah am Fjord. Aber wenn man ehrlich ist: Die meisten wollen beides ;-)

    Fischmarkt in Bergen

    Fischmarkt in Bergen

  • Kulinarisches. Also, erst einmal: Das Essen ist schon etwas anders. Mir (T.) kommt hier besonders entgegen, dass massig Meeresfrüchte auf den Tisch kommen. Vieles stammt natürlich frisch aus dem Oslofjord, u.a. Krabben in jeder Variation. Ich kaufe regelmäßig reker, das sind Tiefseegarnelen (Pandalus borealis), die es allerdings sowohl tiefgefroren (billig) als auch frisch aus dem Fjord (verflixt teuer) gibt. Spannend sind natürlich auch die für uns eher ungewöhnlichen Wurst- und Fleischsorten, z.B. Elch, Rentier und Wal. Und herzhaft lachen mussten wir anfangs auch über die einheimischen Gemüseprodukte: Kohlköpfe, die eher als Bonsais durchgehen würden, oder gar Salat, der in kleinen Plastikblumentöpfchen gezogen wird und im Supermarkt noch im Pott zu kaufen ist.

  • Wohnen. Wir haben es mit Oslo schon sehr gut getroffen. Die Stadt hat eine super Mischung aus Großstadt und Natur. Sie ist etwa so groß wie Bremen, aber viel kosmopolitischer — man merkt schnell, dass man „in der Hauptstadt” lebt. Übrigens ist Oslo eine sehr grüne Stadt. Wegen der ausgedehnten Waldgebiete um die Stadt herum sind Parks eigentlich nicht vonnöten, aber erstens gibt es dennoch so einige und zweitens gibt es überall kleine grüne Flecken. Wir haben mit unserer Wohnung in Godlia aber sowieso mehr Glück als Verstand gehabt. Immer noch in Fahrradentfernung zur City, Park vor der Haustür, Autostellplatz, Platz für unsere diversen Fahrräder, groß, hell, schön und dann auch noch in einem alten Holzhaus. Unser Alptraum war wirklich, dass wir in einen dieser Betonklötze ziehen müssten, aber der Kelch ist an uns vorbei gegangen. Nee, bei dieser Wohnqualität zahle ich auch gerne ein bisschen mehr.

Negatives

  • Preise. Da können hierher ausgewanderte Norwegenbegeisterte noch so sehr ihre rosablauweißroten Brillen tragen („so teuer ist es in Norwegen gar nicht; man verdient ja auch mehr ...”): Wir finden es hier immer noch schweineteuer. Natürlich bekommen wir zunehmend den Dreh raus, wie man beim Einkaufen und Ausgehen ein paar Kronen sparen kann, aber im Großen und Ganzen haben wir immer noch sehr viel höhere Ausgaben als in Deutschland, unser Verdienst ist aber nicht adäquat gestiegen. Unseren deutschen Lebensstandard können wir hier nur mit einiger Mühe halten. Muss man halt mit leben, ikke sant? Ein kleines Beispiel: Wenn man in einer Kneipe an der Theke „eine Marlboro” bestellt, bekommt man keine ganze Schachtel, sondern eine einzige Zigarette. Und die kostet dann meist 5 Kronen (60 Cent).

    Lekter'n — hier kostet der halbe Liter Ringnes fast 9, die Flasche Beck's fast 11 Euro

    Lekter'n — hier kostet der halbe Liter Ringnes fast 9, die Flasche Beck's fast 11 Euro

  • Bier. Erster Schock ist natürlich der Preis; zweiter Schock ist der (kaum vorhandene) Geschmack. Wirklich leckeres Bier gibt es eigentlich nur im Alkoholladen (Vinmonopolet). Vor allem die Spezialbiere — wie Weihnachtsbock etc. — sind da empfehlenswert. Die Bierqualität ist für uns natürlich ein vernachlässigbares Problem — unser selbstgebrautes Bier schmeckt ja prima!!

  • Biergärten. Eine Biergartenkultur gibt es hier gar nicht. Zwar stürzen die Osloer auch bei jedem Sonnenstrahl nach draußen, um irgendwo einen Kaffee oder ein Bier zu trinken, aber dummerweise befinden sich diese utesteder nicht unbedingt in einem angenehmem Ambiente. Es gibt einige nette Lokale mit Atmosphäre am Fjord auf Aker Brygge; der einzige „fast echte” Biergarten mit einigem Grün befindet sich aber im Frognerpark (Vigelandspark). Allerdings gibt es auch da wieder ein kleines Wermutströpfchen: Je besser das Ambiente, um so teurer das Bier. Entsprechend gönnen wir uns diese Lokalitäten nur selten und gehen lieber in hässliche Billigkneipen: Man bekommt für den selben Preis doppelt so viel Bier.

  • Kneipendichte. Die Kneipen und Cafés sind in Citynähe zentriert. Es gibt in unserer Wohngegend nicht mal eine einzige Möglichkeit, ein Bier trinken zu gehen! Schon ein ungewohntes Bild: Riesige Wohnkomplexe mit hunderten Wohneinheiten und nicht eine einzige Kneipe. Das ist in Deutschland doch unvorstellbar — wie soll man denn sein Feierabendbier in der Stammkneipe um die Ecke trinken und dann von Mutti die Pantoffeln ans Sofa bringen lassen?!

  • Landschaft. Es ist wirklich schön hier, aber wir vermissen das Flachland zum Fahrradfahren. Zehn Kilometer schlauchen hier doch schon ganz gewaltig. Dabei haben wir das in Bremen doch auf einer Backe abgeradelt. Das Tandem hat sich hier als ein wenig geeignetes Fahrrad herausgestellt: Im Flachland schont ein Tandem die Kräfte; bei anspruchsvollerem Relief muss man dagegen deutlich mehr Kraft aufwenden. Unsere nächsten Fahrräder werden übrigens definitiv Mountainbikes!

  • Umweltfrevler. Norwegen hat einen hohen Energieverbrauch (in Europa den höchsten Stromverbrauch je Einwohner). Das verwundert uns gar nicht, wenn man sieht, dass im Winter die Wohnungstemperatur durch das öffnen der Fenster reguliert wird. Wir verbrauchen im Vergleich mit den anderen Mietparteien in unserem Haus so wenig Strom, dass unsere Vermieter schon dachten, der Stromzähler sei defekt. Und mir wurde am ersten Tag in der Uni gesagt, dass ich beim Verlassen des Büros nicht das Licht ausschalten soll — sonst würde man argwöhnen, dass ich schon früh nach Hause gegangen sei. Auch der Wasserverbrauch ist immens; man kann den Norwegern auch nicht klarmachen, dass nicht nur das Frischwasser eine rare Ressource ist (gut — in diesem Land nicht wirklich ...), sondern vor allem das Abwasser ein großes Problem darstellt. Und von den Tausenden von Einweggrills, die jedes Jahr in der norwegischen Landschaft verbleiben, schweigen wir besser ganz.

    Gerechterweise muss man natürlich erwähnen, dass Strom hierzulande zu ca. 80 % aus Wasserkraft gewonnen wird, was wohl besser ist als Atomstrom oder Strom aus Kohle, aber auch für Wasserkraftwerke benötigt man nicht gerade unerhebliche Eingriffe in die Natur.

  • Kulinarisches. Prinzipiell ist die Hausmannskost recht schlecht gewürzt. Da wir ja eher „Scharfesser” sind, müssen wir uns daran noch gewöhnen. Manchmal fragt man sich, ob hier noch andere Gewürze außer Salz und Zucker bekannt sind. Natürlich hat sich aber auch in Norwegen der Einwanderereinfluss positiv bemerkbar gemacht.

  • System und Bürokratie. Der bürokratische Apparat ist schon recht aufgebläht. Sowieso ist das norwegische System ziemlich vom deutschen verschieden und wir verstehen noch lange nicht alles, ob es sich nun um Versicherungen, Steuern oder sonst etwas handelt. Da die Norweger von Kindesbeinen an in diesem System drinhängen, können uns unsere Freunde und Kollegen auch nicht helfen — sie können sich unsere Unwissenheit gar nicht vorstellen und geben folglich von sich aus keine Tipps.

  • Arztkosten. Man muss Arztkosten bis maximal 1350 NOK (163 EUR) im Jahr selber tragen und für die Kosten beim Zahnarzt und Optiker muss man sowieso komplett selber aufkommen. Das ist im Prinzip ja auch nachvollziehbar, und in Deutschland ist man ja auch auf dem Wege dahin. Aber: Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, dass Studenten eigentlich zum Arzt hätten gehen müssen, aber gerade kein Geld hatten und deshalb den Arztbesuch auf später haben verschieben müssen. Das kann ja wohl auch nicht Sinn der Sache sein.

  • T-bane (U-Bahn). Ein leidiges Thema. Alte U-Bahnen in schlechtem Zustand, aber relativ hohe Fahrpreise. Nun, das wäre ja noch erträglich, wenn diese alten Züge nicht auch noch andauernd ausfallen würden. Man kann sich nicht drauf verlassen und sollte bei wichtigen Terminen immer genug Zeit einplanen, damit man zur Not noch ein Taxi nehmen kann. Meine Fahrzeit nach Hause beträgt — je nach Lust und Laune der T-bane — zwischen 20 Minuten und 2,5 Stunden.

Was vermissen wir am meisten?

  • Flachland zum Radeln. Im Urlaub haben wir es wieder festgestellt: Trotz der landschaftlichen Schönheit von „Fjordnorwegen” hat uns die Gegend um Stavanger am besten gefallen. Dort ist es nur leicht hügelig — etwa wie in Dänemark, obgleich unter der Pflanzendecke natürlich anstehendes Gestein lauert, im krassen Gegensatz zu Dänemark. Man kann dort weit gucken und an der Küste gibt es Sandstrand und einen schmalen Dünensaum — eben typisch Nordseeküste, nur viel schmaler als beispielsweise in Dänemark.

  • Karstadt oder ähnliche Kaufhäuser, in denen es vom Abbeizmittel bis zur Zwiebel einfach alles gibt.

  • große gutsortierte Fachmärkte (z.B. Baumärkte, Atelco, B.O.C.) in akzeptabler Entfernung. Es gibt (einige) entsprechende Märkte etwas außerhalb — man benötigt immer das Auto.

  • Biergärten und Kneipe um die Ecke (wir vermissen sehr schmerzlich den „Leierkasten” in Bremen). Andererseits ist das Fehlen dieser utesteder ja auch gut, da wir sonst bestimmt deutlich mehr Geld ausgeben würden ...

  • Bistros/Cafés/Imbisse etc. um die Ecke. Es gibt so etwas nur in Citynähe; abends spontan mal eine Pizza oder einen Auflauf essen ist entweder mit einigem Aufwand verbunden, oder mit erhöhten Kosten (Pizzabringdienste gibt es wie Sand am Meer).

  • saure(!) Gurken. In der norwegischen Küche wird viel Zucker verwandt und Arnold vermisst sehr seine sauren Gurken. Hier könnte man die „sauren Gurken” eher als „süße Gurken” bezeichnen. Und das scheint nicht mit Mettwurstbrot zu harmonieren ... ;-)

  • Aldi, Aldi und Aldi. Soll ja aber nach Norwegen kommen. Hoffen wir mal, dass sie bei uns in der Nähe eine Filiale eröffnen und wenigstens ein kleines bisschen die deutschen Preise mitbringen.

  • Wein/Spirituosen im Supermarkt. Wir kaufen zwar nicht viel Wein, aber man muss halt immer in einen extra Laden (Vinmonopolet). Diese Läden sind auch etwas rar gesät, zum Glück haben wir gleich zwei dieser Läden in unserer Nähe. Teilweise kann man im Vinmonopol nicht mal in Ruhe die Produkte anfassen und sich dann entscheiden, sondern muss anhand einer Liste die Getränke auswählen und am Tresen dann die gewünschten Flaschen bestellen.

Fazit

Alles in allem gibt es — wie immer und überall — positive und negative Seiten, aber im Großen und Ganzen fühlen wir uns hier sauwohl. Wir haben schon viel erlebt, und es kommt ständig etwas Neues — es wird hier so schnell nicht langweilig. Und wir können es auch nach einem Jahr noch nicht richtig fassen, dass wir nun in Oslo leben. Oslo ist tatsächlich ganz schnell unsere neue Heimat geworden und wird es hoffentlich noch eine ganze Weile bleiben.